Wie macht man's gut bzw. richtig?
Teil einer großen Familie zu sein, ein Kind zu haben, als ein verträglicher und angenehmer Mensch von seinem Umfeld geschätzt zu werden, das alles ist gut und schön. Aber alles nützt nichts, wenn man aus seinem Schneckenhaus nicht hinaus findet und nur schlecht Kontakte knüpfen kann. Ich möchte mit diesem Artikel über das “Individuell aktiv sein” hinaus eine Altersvorsorge besonderer Art ansprechen. Nämlich die Bedeutung vom Kontakte knüpfen.
Heute wäre Erna 86 Jahre alt geworden. Sie ist im vergangenen Dezember gestorben. Und das nicht am Krebs und nicht an Diabetes. Sie wollte einfach das viele Alleinsein nicht mehr ertragen und hat immer weniger gegessen. Bei allem hatte sie das Glück, dass sie in den letzten vier Wochen ihres Lebens in einem Hospiz gut betreut wurde und ruhig einschlafen konnte.
Erna kam vor 66 Jahren als Kindermädchen für mich und den Haushalt in unsere Familie und war nur 1 1/2 Jahre bei uns. Sie heiratete und ist mit ihrem Mann nach West-Berlin gegangen. Dabei spielte die Politik eine Rolle. Für die beiden Menschen aus einem Dorf war das eine sehr schwere Entscheidung. Dennoch ist der Kontakt zwischen unseren Familien nie abgebrochen. Und als ich später in Ost-Berlin studierte und arbeitete, habe ich sehr von ihrem Spaß am Einkaufen profitiert. Sie hat so lange gesucht, bis sie gefunden hat was ich gern wollte. Und als Westberlinerin konnte sie mich ja im Osten besuchen.
Obwohl sie mit acht Geschwistern aufgewachsen ist, war Erna keine Frau für gesellige Runden. Ihr Leben spielte sich in erster Linie innerhalb der Familie und Verwandtschaft ab. Also eher außerhalb von Berlin. In Berlin gab es die Tochter mit Familie, doch der Kontakt war für beide Seiten schwierig. Als Ernas Mann starb, war sie noch nicht 70 Jahre. Gut war, dass sie sich bald darauf um ihren Urenkel kümmern konnte. So fühlte sie sich wenigstens zeitweise wieder nützlich und war beschäftigt.
Im Sommer 2011 starb die Tochter an Krebs und von da an hatte ich über lange Zeit täglich telefonischen Kontakt zu Erna. Schwer zu verkraften war für sie nicht nur der Tod der Tochter, schwer lag auch der nicht aufgelöste Konflikt zwischen beiden auf ihrer Seele. Diese ungelösten Konflikte können uns das Leben wirklich schwer machen. Dabei gibt es manchmal ganz simple Lösungen, es fehlt oft nur der Mut, das Problem anzugehen.
Ende des Sommers 2012 dann die Diagnose Diabethes, Gallen-OP und bösartiger Tumor an der Bauchspeicheldrüse. Ich war dabei als der Arzt sagte: “Wenn sie sich operieren lassen kann ich sie heilen.” Eine 84jährige Frau, die täglich davon spricht, sterben zu wollen. Ich fragte mich, was das werden soll. Aber es geschah etwas für mich sehr bemerkenswertes. Denn sie war zu einer interessanten Patientin geworden, die Ärzte kamen mehrfach am Tag zu ihr, ich war aus München gekommen und längere Zeit täglich da, der Schwiegersohn kam ebenfalls fast täglich vorbei. Soviel Aufmerksamkeit hat sie vermutlich ihr ganzes Leben nicht geniessen können. Sie gewann wirklich wieder an Lebensmut.
Erna hat alle Operationen gut überstanden, doch dann zu Haus begann eine sehr harte Zeit für sie. Besonders, weil ihr die passenden Kontakte fehlten. Doch das kennen alle, die von ähnlichen Situationen wissen und die teilweise vorhandene Starköpfigkeit älterer Menschen kennen. Ich war überzeugt, dass ich auch aus München eine nette Person in Berlin für sie hätte finden können. Eine, die gelegentlich mit ihr spazieren oder einkaufen gegangen wäre. Denn ich habe noch Bekannte in Berlin, die wiederum vermittelnd tätig geworden wären. Nur auf die Informationen aus einem Inserat hätte ich mich auch nicht verlassen. Aber ich war ja kein Familienmitglied und konnte nichts entscheiden.
Für mich war übrigens die nächtliche Busverbindung München – Berlin sehr praktisch. Ich bin kurz vor Mitternacht in München abgefahren und war morgens um 1/2 8 Uhr in Berlin. Und das für 19 Euro. Da kann man doch direkt eine Fern-Freundschaft Berlin – München ins Auge fassen und öfters mal Berlin einen Besuch abstatten, oder? 🙂
Resümee
Langfristige Kontakte können sehr hilfreich sein, weil man so manche Verhaltensweisen des anderen viel besser versteht und man sich im Alter über gemeinsam Erlebtes freut. Es lohnt sich oft, Kontakte nicht so leichtfertig abzubrechen.
Wir wünschen uns das ganze Leben immer wieder Beachtung und Anerkennung. Die erhalten wir aber nur im Austausch mit anderen Menschen. Es bleibt wichtig, sich die Fähigkeit zum Kontakte knüpfen zu erhalten, um im hohen Alter nicht zu einsam zu werden.
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